Montag, 27. Juni 2011

Liebe im Internet

Tanz mit Patricia Leinhos im Gallus-Theater

„...dein bezauberndes Lächeln :-)“ Doppelpunkt, Minus, Klammer – kein Zweifel, Patricia Leinhos’ Tanzperformance bringt auf die eine oder andere Art Chatroom-Konventionen ins Spiel. „Bilanz einer Partnersuche im Internet“ lautet der Untertitel des Solostücks über Liebe im Zeitalter des World Wide Web. Partnersuche in Singlebörsen kommt ohne Anonymisierung und Fragespiele nicht aus, also erhält der Zuschauer am Eingang zum Saal eine Klebenummer ausgehändigt, um, wechselseitige Attraktion vorausgesetzt, im Leben nach der Vorstellung Kontakte knüpfen zu können. Als alle sitzen, erklärt Winfried Becker, der Leiter des Hauses, aber erst einmal die Multiple-choice-Fragebögen, die im Foyer auszufüllen waren. Wo möchten Sie leben? Welche Eigenschaften soll ein Partner haben? Ein Schlafzimmer oder zwei - und wie halten Sie es mit der Treue? Maß der Dinge ist der Vergleich mit Patricia Leinhos’ Antworten.

Acht Übereinstimmungen kämen einem Wunder gleich, bei fünf Gemeinsamkeiten wird man fündig. Wie es der Zufall will, trifft es den Kritiker und zwei weitere Zuschauer, die zu markierten Sitzplätzen nach hinten in den Spielraum geführt werden, bevor der Rest sich ebendort beliebig verteilt. Leinhos’ Video- und Bühnenbildmacherin, Charly Steiger, hat links und rechts des Laufgangs für die Performerin je zwei Sitzreihen angeordnet und an Stirn- und Fußende Projektionswände aufgestellt. Leinhos, stumm in sich versunken, das Gesicht verdeckt, sitzt auf einem Kasten und bleibt fürs Erste fast reglos, während Großporträts, wandernde Störsignale, verfremdete Bewegungsimpressionen über die Leinwände laufen.

Körperliche Performance und Video halten sich in ihrem durchnumerierten Stück, das von Abgängen Leinhos’ gegliedert wird, die Waage. Während ihrer Abwesenheiten sieht man sie durch Live-Cams in ihrer Garderobe, wo sie allerlei kleine Dinge tut und sich umzieht. Irgendwann fallen minimale Diskrepanzen auf - im Video streift sie ein grünes Hemdchen über, beim Wiederauftritt trägt sie ein weiß-beigefarbenes. Die virtuelle Liebessuche ist wohl ebenso trügerisch, denn wie schrieb Kafka an Milena: „Geschriebene Küsse werden von den Gespenstern ausgetrunken.“

Leinhos’ Bewegungssprache ist minimal und gestisch. Und doch vermittelt sie den Kern einer emotionalen Geschichte: von hoffnungslos verschränkter Starre zum sich Öffnen bis hin zu Augenblicken in euphorischer Flughaltung, als seien Höhenflug und Sturz eines Ikarus in Liebe programmiert. Mehrfach ertönen Celli und Geigen, manövrieren das Geschehen vom Depressiven, fast Tragischen an die Grenze zum Kitsch. Dreimal wendet sich die Tänzerin ihren Sympathisanten zu, präsentiert sich ihnen musikalisch unterstützt, minutenlang mit ihrer stumm lächelnden Charmeoffensive. Hybride Momente sind das, die unkontrollierte Resonanzen zwischen Spiel und Leben erzeugen. Eine substanzreiche Recherche in modernen Formen der Annäherung.

MARCUS HLADEK
freier Mitarbeiter der Kulturredaktion der FAZ